Jede Leiche, die
Schussverletzungen aufweist, sollte unbedingt vor der Obduktion
geröntgt werden. Die Frage, ob und wie viele Steckschüsse vorhanden
sind, kann dadurch leichter beantwortet werden. Kann die
Körperoberfläche nicht mehr sicher beurteilt werden, z. B. bei
Madenfraß, ist im Verdachtsfall gleichfalls eine röntgenologische
Untersuchung angezeigt. Die morphologischen Charakteristika
von Schusswunden können Aussagen über die Schussrichtung (Ein- oder
Ausschusswunde) und über die Schussentfernung erbringen.
Nahschuss
Absoluter Nahschuss Bei
absoluten Nahschüssen wird die Waffe auf die Haut vollständig
(aufgesetzter Nahschuss) oder beinahe (Abstand von Laufmündung zur Haut
etwa 1 mm) aufgesetzt. Derartige Nahschüsse kommen v. a. bei Suiziden
vor. Am häufigsten wird die Waffe an die Schläfe, seltener an die Stirn
gehalten.
Äußere
Untersuchungsbefunde
Einschusswunde : Sehr häufig
entstehen über Knochentafeln (Schädel, Brustbein) Platzwunden . Die
Haut „platzt“durch den Druck der ins Gewebe geleiteten, sich
ausbreitenden Verbrennungsgase von innen her auf. Die Wunden an der
Schläfe sind häufig dreistrahlig, können aber auch mehrstrahlig sein.
In Stirnmitte kommen oft vierstrahlige Wunden vor. Zentral besteht
infolge des Projektildurchtritts ein runder Defekt, sodass die
Wundränder nicht völlig adaptierbar sind. Abstreif- und Schmauchring
sowie Schürfsaum sind meist nicht darstellbar.
Abb. 1: Typische
mehrstrahlige Einschusswunde bei absolutem Nahschuss.
Ohrwärts um den Wundrand bogenförmige Stanzmarke ().
Kaliber 9 mm. Suizid eines 71-Jährigen.
Die
Wunden können zumindest partiell
von einer Stanzmarke umgeben sein. Absolute Nahschüsse in Regionen ohne
knöcherne Unterlage, z. B. Bauchschüsse, führen zu runden, nicht
adaptier baren Einschusswunden, an denen ein Abstreifring vorhanden
sein kann. Der Schmauch findet sich im Wesentlichen im Wund
innern.
Ausschusswunde
: Die Munition üblicher Handfeuerwaffen führt in der Regel zu
kurzstrahligen, seltener schlitzförmigen Platzwunden. Die fetzigen
Ränder sind völlig adaptierbar. Am Kopf sind die Ausschüsse meist
deutlich kleiner als die Einschüsse.
Innere
Untersuchungsbefunde
Schmauchhöhle : Die Platzwunde
des Einschusses geht nach innen in die Schmauchhöhle über. Diese ist
ebenfalls durch den Gasdruck verursacht und enthält Schmauch, der sich
auch im weiteren finden kann. Daneben können unverbrannte
Pulverpartikel vorhanden sein. Die betroffene Muskulatur ist
gelegentlich lachsrot. Ursache dafür ist die unvollständige Verbrennung
im Gewebe mit Bildung von CO-Hb/-Mb.
Abstreifring am Knochen: Der
Knochen zeigt am Einschuss vorwiegend einen runden Defekt
(Lochbruch), meist
mit dunkelgrauem Saum. Dabei handelt sich um den Abstreifring, der sich
bei absoluten Nahschüssen an der Knochen außenseite ausbilden kann.
Manchmal ist er von Schmauch überlagert.
Schusskanal : Er besteht aus
einer kanalartigen Gewebszerstörungszone, deren Umgebung mehr oder
weniger stark von Prellungsblutungen durchsetzt ist. Bei
Knochendurchschüssen erweitert sich der Kanal in Schussrichtung meist
durch die mitgerissenen Knochensplitter bzw. die Teile des sich
zerlegenden Projektils, die röntgenologisch nachgewiesen werden können.
Am Schädeldach entstehen um die Schussdefekte an Tabula interna bzw.
externa Randabsprengungen, die sich in Schussrichtung trichterförmig
erweitern. Ihnen kommt bei Leichen im späten postmortalen Intervall
besondere Bedeutung zu, da Wunden und andere Merkmale keine
Einschätzung der Schussrichtung mehr erlauben.
Relativer Nahschuss Werden
Schüsse aus einer Entfernung abgegeben, bei denen es um den primären
Einschuss zur Beschmauchung sowie zur Auflagerung und Einsprengung von
Pulverrückständen kommt, liegen relative Nahschüsse vor.
Äußere Untersuchungsbefunde
Einschusswunde: Sie besteht
meist aus einem runden Defekt mit Schürfsaum und evtl. mit
Abstreifring. Die Defektränder sind nicht adaptierbar. Um die Wunde
befindet sich ein Kontusionsring, d.h. ein Hämatom, das durch die
Druckbelastung im Gewebe entstanden ist. Schmauch und Pulverrückstände
sind an Haut oder Kleidung vorhanden.
Ausschusswunde: Sie ist häufig
schlitzartig, fetzigrandig, mit adaptierbaren Wundrändern, oft größer
als die Einschusswunde.
Innere Untersuchungsbefunde
Schusskanal: Er entspricht den
Befunden, die beim absoluten Nahschuss
beschrieben wurden.
Fernschuss
Fernschüsse
erfolgen aus Distanzen, bei denen
lediglich Einschussdefekte entstehen; Beschmauchungen und
Pulverrückstände fehlen.
Äußere
Untersuchungsbefunde
Einschusswunde: Ihre
Merkmale entsprechen denen der Einschusswunde beim
relativen Nahschuss. Am primären Einschuss fehlen jedoch
Schmauch und Pulverrückstände.
Ausschusswunde:
Der Befund entspricht dem der Ausschusswunde beim relativen
Nahschuss.
Innere Untersuchungsbefunde
Schusskanal: Er entspricht den Befunden, die beim absoluten
Nahschuss beschrieben wurden.
Spezielle
Schussformen
Mundschuss Mundschüsse
werden vor allem bei Suiziden beobachtet.
Äußere
Untersuchungsbefunde
Radiäre Lippenrisse : Der
Druck der Verbrennungsgase, die aus dem Mund in
Richtung Lauf aus treten, führt zu Rissen der Lippen, gelegentlich auch der Schleim haut des Mundvorhofs und
der Haut um den Mund.
Abb. 2: Radiäre Risse der Lippen bei suizidalem Schuss in den Mund mit einer Flinte (Pumpgun).
Streifschussverletzungen der Zunge: Manchmal
sind Mundschüsse mit derartigen Befunden kombiniert.
Innere
Untersuchungsbefunde
Einschussdefekt: Er liegt
meist am harten Gaumen. Hier findet sich auch eine
intensive Beschmauchung, keine Schmauchhöhle. Andere
Einschussmerkmale sind meist nicht abgrenzbar.
Schusskanal: Er verläuft meist durch den Clivus ins Gehirn.
Sonstige Befunde: Der Ausschuss ist typischerweise am
Hinterhaupt lokalisiert. Bei Verwendung von rasanter Munition
treten Befunde nach Art eines Krönlein-Schusses auf.
Querschläger Ein Querschläger
(Syn.: Geller- oder Rikochett-Schuss ) liegt vor, wenn ein Projektil
vor dem Eindringen in den Körper durch Wände, Bäume u. Ä. in
seiner Flugbahn abgelenkt wird. Dadurch kann das
Projektil beschädigt werden und ins Taumeln kommen, sodass
eine uncharakteristische, relativ große Einschusswunde
resultiert.
Handlungsfähigkeit Bei
Schussverletzungen des Herzens und der großen Schlagadern
tritt der Tod nach wenigen Minuten ein. Bei Lungen-
und Bauchschüssen kann gelegentlich eine längere
Handlungsfähigkeit bestehen. Kopfschüsse führen zum sofortigen
Todeseintritt, wenn das Stamm hirn oder das Ventrikelsystem verletzt
wird. Bei Schüssen durch das Stirnhirn kann lange Zeit
Handlungsfähigkeit bestehen. Infolgedessen kann bei
Suiziden die Waffe weit entfernt von den Betroffenen
aufgefunden werden.
Suizid /Fremdbeibringung Die
Unterscheidung, ob ein Suizid oder die Einwirkung fremder
Hand vorliegt, ist allein aufgrund des Obduktionsbefunds in
der Regel nicht möglich. Es können sich nur Hinweise in die eine oder
andere Richtung ergeben: In der Praxis spielen fast immer
Handfeuerwaffen eine
Rolle, nur selten Druckluftwaffen, z. B. Luftgewehre. Diese
Feuerwaffen, mit
Ausnahme von Flinten, besitzen einen gezogenen Lauf, d. h., sie
weisen spiralförmig
in das Laufinnere geschnittene Vertiefungen auf, die als Züge
bezeichnet werden.
Die Züge geben den Projektilen einen Drall.
Schusshand: Bei absoluten Nahschüssen kann aus der Einschusswunde Blut, seltener Gewebe auf die Schusshand spritzen. Der Nachweis einer Beschmauchung der Schusshand, die fast nie mit dem bloßen Auge erkennbar ist, kann mit verschiedenen Labormethoden an Abrieben der Hände des Opfers oder eines Tatverdächtigen durchgeführt werden. Die Wahrscheinlichkeit einer Beschmauchung ist bei Verwendung von Revolvern aufgrund des Spaltraums um die Trommel größer als bei Pistolen.
Mundschuss
unmittelbar vorausgegangene Suizidversuche: In Frage kommen frische Pulsaderschnitte oder ein Erhängungsversuch mit Strangmarke.